Dr. B.
Jury & Erfinder des Deutschen Popliteraturpreises
Vier Fragen an die Jury des Deutschen Popliteraturpreises 2024
Liebe Jury, wir hätten ein paar Fragen, die uns im Zusammenhang mit Literatur beschäftigen. Ihr könnt gern schriftlich, per Audionachricht, in Videoform oder auch gar nicht antworten. Wir sind gespannt.
1. Was verbindet Dich mit (Pop-)Literatur? Warum bist Du beim Deutschen Popliteraturpreis dabei und worauf freust Du Dich am meisten?
Dr. B.: Ich setze mich als Professor für deutschsprachige Gegenwartsliteratur seit vielen Jahren mit Popliteratur auseinander. Für mich ist Popliteratur nicht nur eine historische Strömung, die 2001 geendet hat, oder gar eine Modeerscheinung, wie es oft in der Presse dargestellt wurde. Popliteratur ist vielmehr eine wegweisende Art zu schreiben. Ich muss gestehen, dass mich die Betrachtung der Preislandschaft im deutschsprachigen Raum frustriert. Mir ist das alles oft zu einseitig und oberflächlich. Vor diesem Hintergrund ist der Deutsche Popliteraturpreis entstanden. Der überwältigende Zuspruch von Seiten der Autoren, Verlage und auch von Kollegen macht eines deutlich: wir sind auf einem guten Weg. Uns ist es sehr ernst mit dem Anspruch, Literatur zu finden, die unterhaltsam und lesbar, aber auch innovativ ist. Ich bin überzeugt, dass Popliteratur das Maximum an „Literarizität“ in der Gegenwart bietet. Zumindest innerhalb realistischen Schreibens. Wenn das Buch wirklich hervorragend ist, geht es sprachlich und auf der Bedeutungsebene bis an die Grenzen, vielleicht sogar darüber hinaus. Ohne aber durch Unlesbarkeit ein Gros der Gesellschaft entweder zu langweilen oder abzuschrecken. Popliteratur kann im Idealfall auf mehreren Ebenen gelesen werden: man kann den versteckten Referenzen nachgehen oder die Geschichte einfach nur genießen. Popliteratur ist ungefilterte Sprache. Da gehören Alltagselemente, Dialekt, Marken, die unser Leben ständig begleiten, einfach dazu. Wenn ich diese von der Gegenwart „gereinigte“ Sprache in vielen Romanen der deutschsprachigen Schriftstellerelite lese, wird mir schlecht, denn hier ist Ideologie im Verzug. Dahinter steckt der Gedanke, dass sich durch eine gefilterte Hochsprache und mithilfe bedeutungsschwangerer Themen automatisch die Tore zur Hochkultur öffnen. Und leider ist es häufig so. Moritz Baßler nennt dieses Phänomen in seinem neuen Buch zum populären Roman der Gegenwart „Midcult“. Sorry, aber wofür in Deutschland Preise verliehen werden, kann ich nur in seltenen Fällen nachvollziehen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist meine Ablehnung des deutschen Sola Scriptura-Purismus, der verlangt, sich ausschließlich auf den Text zu konzentrieren. Man hört das immer wieder in Jury-Äußerungen, dass man nur und ausschließlich „den Text für sich sprechen lassen“ möchte. Das klingt wunderbar als Gedanke, im Kern ist es aber wieder nur abgehobenes Blabla. Was soll das denn bedeuten? Ein Text findet ja nicht im luftleeren Raum statt. Literatur geht weit über das Buch hinaus. Ich freue mich auf Autoren, die bei ihren Auftritten oder online weitere Geschichten erzählen, die man mitlesen muss. Als letzten Punkt möchte ich die von vielen Literaturkritikern als oberflächlich abqualifizierte äußere Form des Buches ansprechen. Natürlich ist es geil, wenn sich der Verlag Gedanken zur Covergestaltung macht, die Schrift sorgsam aussucht, ein Lesebändchen mit dazu gibt. Ich liebe z.B. kleinere Bücher aus hochwertigem Papier. Das Buch darf durchaus als Begleiter im Alltag dekorativ sein. Einen schönen Anzug oder ein gut geschnittenes Sakko zu tragen, in dessen Tasche ein schönes kleines Buch steckt, wertet die ganze Erscheinung auf.
2. Was bedeutet Dir Literatur?
Dr. B.: Fast alles. Ich habe einen Großteil meines Lebens Geschichten gewidmet. Mein Job als Literatur-Prof und mein Engagement im Literaturbetrieb stehen unter diesem Vorzeichen. Es geht darum, Ordnung in ein chaotisches Leben zu bringen, das Ich hinter sich lassen zu dürfen, wenn man gute Literatur liest. Es geht eben gar nicht um Ich-Findung oder ähnlichen Quatsch. Fiktion ist für mich wertvoller als Wirklichkeit. Kann man das überhaupt voneinander trennen? Literatur entfaltet einen Möglichkeitsraum. So könnten die Dinge aussehen. Und das ist gerade in Krisenzeiten essentiell. Absurderweise werden zurzeit Literatur- und Kulturprogramme überall gekürzt. Das ist bemerkenswert kurzsichtig. Literatur ist Luxus. Man muss sich Zeit nehmen, kann das Vergnügen nicht einfach kaufen wie einen Supersportwagen oder eine Patek-Philippe. Man muss dafür arbeiten, Zeit und Konzentration aufwenden. Dadurch steigt aber der Genuss. Das ist der Unterschied zu Netflix oder dem endlosen Scrollen in den sozialen Medien.
3. Gibt es Themen, die in der Literatur nichts zu suchen haben?
Dr. B.: Mir fallen keine ein. Aber mir geht es vor allem um die Freiheit der Literatur, alles sagen zu dürfen. Maximale Freiheit, sonst endet es böse. Mit Moral an Literatur heranzutreten – ich weiß, ich wiederhole mich –, ist ausgesprochen dumm und zeugt von einem desaströsen Verständnis von Literatur.
4. Wie lange gibst Du einem neuen Buch eine Chance, bevor Du es weglegst, und was muss in dieser Zeit für Dich passiert sein? Hast Du ein aktuelles Beispiel?
Dr. B.: Ich bin zu ungeduldig. Aber man kann schon, wenn man etwas erfahren ist, relativ früh sagen, ob man es mit guter Literatur zu tun hat. Für mich muss das Buch gut aussehen, sich gut anfühlen, es darf nicht zu lang sein. Es muss auf mehreren Ebenen lesbar sein und muss mich relativ schnell in seine Welt hineinziehen. Ich wünsche mir eine außergewöhnliche Sprache, die mich ins Schlingern bringt, aber alles bitte subtil, nicht mit dem Holzhammer. Oft lese ich den Anfang, das Ende und ein, zwei Kapitel in der Mitte, dann muss es mich catchen. Wenn mich Cover, Farben, Papier, Schriftart etc. ansprechen, bin ich sofort hoffnungsvoll. Und natürlich kann man ein schlechtes Buch einfach weglegen. Es gibt leider viel zu viele davon.